Thaddeus L. Kostrubala M.D.
von Wolfgang W.Schüler
Zur 15-Jahr-Feier des „Verbandes der Lauftherapeuten (VDL)“ im November 2009 sandte er eine kunstvoll gestaltete und warmherzige Grußbotschaft aus seinem Domizil in Florida. „Ich fühle mich geehrt, euch zu grüßen, und ich bin dankbar, eure Arbeit zu kennen.“ Wenn ein „Prophet“ der Lauftherapie so zu deren „Jüngern“ spricht, muss das einen Grund haben. Dieser Grund ist bei Thaddeus Kostrubala lebensgeschichtlich verankert und spiegelt die Situation der Lauftherapie in seinem Heimatland wider. Seit die von ihm gegründete „International Association of Running Therapists (IART)“ im Jahr 1983 die Arbeit einstellen musste – nicht etwa wegen mangelnder Nachfrage, sondern wegen einer schweren Verletzung, die ihn ereilte –, gab es in den USA keinen neuen Anlauf mehr, die Lauftherapie zu institutionalisieren und Lauftherapeuten auszubilden. Dies war für Kostrubala um so schmerzlicher zu erleben, als er richtungsweisende Vorarbeiten dafür geleistet hatte und es im weiten Land auch sonst genügend empirische Studien gab, die die positiven Effekte des Laufens auf die körperliche und seelische Gesundheit belegten. Doch von den in Frage kommenden Personen und Organisationen wie z. B. die „American Medical Jogger’s Association (AMJA)“ oder die „Running Psychologists (RP)“ gingen diesbezüglich keine Impulse aus.
Als Thaddeus Kostrubala in 2008 von der Existenz und der Entwicklung der Lauftherapie in Deutschland erfuhr – Ausbildungsmöglichkeiten, Verbreitungsgrad, Berufsvertretung –, war er „offen gestanden überwältigt“. In einem Brief an den Verfasser schrieb er: „Ich fühle mich wie ein Vater, der ein Kind gefunden hat, das er vor vielen Jahren verloren glaubte und das plötzlich erschienen ist. (…) Jetzt sehe ich, dass dieses Kind ein Erwachsener geworden ist (…), ein rundum funktionierender Erwachsener, aktiv und voller Leben“. Hiervon war Kostrubala so inspiriert, dass er Jahrzehnte nach seinem letzten Beitrag wieder über die Lauftherapie zu schreiben begann (Kostrubala & Schüler, 2009) und für 2010 sogar eine Studien- und Vortragsreise nach Deutschland ins Auge fasste. Gesundheitliche Gründe vereitelten jedoch diese Absicht.
Keiner im englischsprachigen Raum hat das Feld der Lauftherapie so breit beackert und bestellt wie der US-Arzt und Psychiater. Nicht nur, dass er als Erster seiner Zunft das Laufen zu einem festen und wesentlichen Bestandteil der eigenen Arbeit machte – er erzeugte mit seinen Publikationen zur „Running Therapy“ Resonanz über Ländergrenzen hinweg. Früh schon sah er die Notwendigkeit der Ausbildung von Lauftherapeuten, schuf Leitlinien hierfür und bildete selber aus. Zudem gründete er mit der IART das allererste Institut für Lauftherapie, führte in diesem seine verschiedenen Aktivitäten zusammen und baute sie weiter aus.
Die Jahre, in denen Dr. Kostrubala lauftherapeutisch tätig war und aus heutiger Sicht Maßstäbe setzte, 1973 bis 1983, waren für ihn jedoch alles andere als einfach. „Ich war wie ein Forscher, der zu einem fernen Land reiste und mit etwas zurückkehrte, das Anderen wie eine fremdartige Erzählung von Wundern und Schönheit vorkam.“ Er hatte eine schwierige Zeit, begleitet von Spott und Hohn. Innerhalb der psychiatrischen Gemeinschaft spielte er mit seinem guten Ruf. Immerhin gehörte er der „Alpha Omega Alpha“, der Ehrengesellschaft der US-Mediziner, an und hatte eine Professur für Klinische Psychiatrie an der United States International University. Nein, ein Therapeut, der gemeinsam mit seinen Patienten joggte und schwitzte und derlei Tun als ernst zu nehmende Behandlung bei psychischen Erkrankungen deklarierte, wurde vom Establishment nicht nur nicht ernst genommen, sein Tun verstieß gegen allgemein gültige Freud’sche und Jung’sche Prinzipien und Praktiken. Doch sah sich Kostrubala durch die erzielten Ergebnisse seiner Arbeit zum Weitermachen ermutigt. Als er 1976 das Buch „The Joy of Running“ (Philadelphia, New York) vorlegte, waren Worte wie die von Dr. med. Jack H. Scaff, Direktor der „Honolulu Medical Group“ und Präsident der „Honolulu Marathon Association“, Balsam für die angegriffene Seele. Das Buch sei „ein helles Licht am Ende eines langen Tunnels der Ignoranz gegenüber den Wirkungen des langsamen Ausdauerlaufens auf den Geist und den Körper des Menschen. Bücher wie dieses sind lange überfällig.“
Auf die Spur des Laufens und der Lauftherapie war Thaddeus Kostrubala durch einen Kardiologen in San Diego, Dr. John Boyer gebracht worden. Dieser plante in 1972 ein Laufprogramm für Patienten nach Herzinfarkt und überredete Kostrubala in präventiver Absicht zur Teilnahme. Dem fiel auf, dass sich sowohl bei den Versuchsteilnehmern als auch bei ihm selbst nicht nur die von Boyer angestrebten physischen bzw. physiologischen Veränderungen einstellten, sondern sie auch psychisch Gewinn aus ihrem Tun zogen. So entschied er, selber eine kleine Gruppe nahezu hoffnungsloser Patienten aus seiner psychiatrischen Praxis am Krankenhaus („Mercy Hospital and Medical Center“, San Diego) zusammenzustellen und mit ihr zu laufen. Er habe zu diesem Zeitpunkt keine konkreten Erwartungen gehabt, nur eine merkwürdige Vorahnung. Die Gruppe traf sich an drei Tagen pro Woche, walkte bzw. lief und ging im Anschluss ins therapeutische Gespräch. Das Laufen selbst bewirkte stets auf’s Neue, dass die Patienten freier zu atmen begannen und es sie drängte, über sich zu reden. Das Sich-Öffnen löste Gedankenknoten und ermöglichte ein besseres, kreatives Denken. Dieses und die beim Laufen aufgestiegenen Themen wurden in den nachfolgenden Gesprächsrunden nutzbar gemacht. Probleme wie Angst und Depression, Schizophrenie und Sucht konnten ebenso wie die Medikation deutlich, teils dramatisch reduziert werden – auf eine Art, die Kostrubala, der seit 1959 herkömmliche Gruppentherapien durchführte, gewiss sein ließ: Das zusätzliche Laufen war das Plus. Und so setzte er seine Laufarbeit mit weiteren Patienten bzw. Patientengruppen fort.
Um herauszufinden, ob das Laufen auch für Menschen ohne (besondere) psychiatrische Auffälligkeiten von Nutzen sein konnte, initiierte er zusätzliche Laufversuche mit Absolventen bzw. Lehrkörpern eines Universitätszweiges (1974), aber auch mit Kindern und Jugendlichen einer Mittelschule (1975). Im einen wie im anderen Fall sah er seine Erwartungen mehr als bestätigt. Die erkannten, im Laufen ebenfalls liegenden präventiven Möglichkeiten suchte er nun in die Breite der Bevölkerung zu tragen. Dem Beispiel von Dr. Scaff in Honolulu folgend, eröffnete er mit Gleichgesonnenen die „San Diego Marathon Clinic“, einen offenen Wochenend-Lauftreff unter ärztlicher Anleitung. Interessierten sollte hier der Einstieg ins Gesundheitslaufen geebnet und Fortgeschrittenen Sicherheit beim Aufbautraining zum Marathon vermittelt werden. (Zur Erinnerung: Der Olympiasieg des US-Amerikaners Frank Shorter 1972 in München hatte in den USA große Begeisterung ausgelöst und inmitten der aufgekommenen Fitness- und Joggingbewegung eine Marathonwelle entfacht.) Kostrubalas’ Aktion wurde ein großer Erfolg; bis zu 700 Teilnehmer, darunter ganze Familien, fanden sich zu den Sonntag-Morgen-Läufen ein. Was wiederum das landesweite Journal „US“ im Dezember 1977 veranlasste, darüber zu berichten.
Bereits 2 Jahre zuvor hatte Thaddeus Kostrubala seine Erfahrungen, Ergebnisse und Visionen zu Papier gebracht. An einer Veröffentlichung war jedoch nur ein Verlag interessiert gewesen. Dass dieser auch noch auf einen Titel wie „The Joy of Running“ (Die Freude am Laufen) bestand, wurmte den Autor, ging es ihm doch um Ernsthafteres. Nun dürfte aber gerade der Titel dazu beigetragen haben, dass die Schrift weit über Fachkreise hinaus Bekanntheit und Verbreitung erlangte. Der gebundenen Ausgabe (1976) folgten rasch mehrere Paperback-Auflagen. Etwa 10 Jahre blieb „The Joy of Running“ auf der Lieferliste des Verlages. Über die USA hinaus wurde das Buch in Mexiko, England, Italien, Australien, Neuseeland und Japan aufgelegt. Es fand schätzungsweise 1 Million Käufer.
Das Neue an dieser Publikation: Es ist im Grunde das erste umfassende Lauftherapiebuch. Es beschreibt mögliche körperliche und – weithin neu – seelische Wirkungen des Laufens, für die theoretische Erklärungen angeführt werden. Es widmet sich in seinem größten Kapitel dem Laufen als Therapie (S. 113-144). Und es geht hier in einem Unterkapitel („The Running Therapist“, S. 122-123) erstmals auf die Bedeutung und Rolle des diese Therapie Durchführenden, eines „Lauftherapeuten“, ein. Schließlich gibt das Buch konkrete Anleitung zum Einstieg in ein Laufen als Prävention. Am Anfang und Ende steht des Autors eigene Laufbiografie, sein Zugang zum Laufen und sein erster Marathon.
Die Ausführungen Kostrubalas wogen schwer. Und wer seiner eigenen Laufpublikation Gewicht verleihen wollte, zitierte ihn oder bat ihn um einen Gastbeitrag – ob Michael H. Sacks & Michael L. Sachs oder Michael L. Sachs & Gary W. Buffone, die 1981 und 1984 die sozialwissenschaftlichen Anthologien „Psychology of Running“ (Champaign, Illinois) und „Running as Therapy“ (Lincoln, London) herausgaben, Textsammlungen, die Standardwerke bzw. Klassiker der angloamerikanischen Lauftherapie wurden.
Im Vorwort von „Running as Therapy“ findet sich ein – warum auch immer seltener – Hinweis auf die 1980 gegründete „International Association of Running Therapists (IART)“. Unerwähnt bleibt ihr Gründer Thaddeus Kostrubala. Für ihn sollte das in San Diego eingerichtete Institut mehrere Aufgaben erfüllen, u. a. Lauftherapiekurse anbieten, Vorträge zur Lauftherapie organisieren und Lauftherapeuten ausbilden.
Über die Ausbildung von Lauftherapeuten hatte Kostrubala schon sehr bald nachzudenken begonnen, nachdem er mit seiner ersten Lauftherapiegruppe die erwähnten Erfolge erzielt hatte. Den anfänglichen Ausführungen hierzu in „The Joy of Running“ ließ er mit „The Training of a Running Therapist“ 1978 einen eigenständigen Beitrag in der Zeitschrift „Medicine and Sport“ folgen, der auf eine Rede vor der „American Medical Jogger’s Association (AMJA)“ zurückging.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen war zunächst die berufliche Qualifikation derjenigen, die sich bei ihm ausbilden lassen wollten. „Er oder sie muss aktiv sein in einem der traditionellen Felder seelischer Gesundheit wie Psychiatrie, Psychologie, Eheberatung oder psychiatrische Pflege. Der Schlüssel hier ist die Notwendigkeit, psychiatrischen Patienten intensiv ausgesetzt zu sein.“ An die Gültigkeit der von ihm vorgenommenen Beurkundung knüpfte er die Bedingung, dass seine Lauftherapeuten Marathonläufer waren und pro Jahr 2 Marathons zurücklegten. Denn: „Der beste Weg für sie, den physiologischen Aspekt zu lernen, ist … für einen Marathon zu trainieren. Während sie sich selbst trainieren, lernen sie eine ganze Menge über sich und Physiologie.“ Wichtig war ihm ferner, dass über die berufliche Spezialisierung hinaus fundierte Kenntnisse aus verschiedenen Fachbereichen vorlagen. „Wenn der Fokus des Therapeuten primär psychologisch ist, wird er nicht in der Lage sein, den geeigneten Rat zu geben hinsichtlich Ernährung, Stretchingübungen, kardiovaskuläre Faktoren, Laufstil, Schuhe usw.“ Schließlich sei „innere Überzeugung“ als Ergebnis der persönlichen Erfahrung und „reguläre, wöchentliche Laufsupervision“ gefragt. „Ich persönlich laufe mit meinen Lauftherapeuten entweder allein oder zusammen wenigstens einmal die Woche.“
Die nach oben zeigende Entwicklung erfuhr eine jähe Zäsur, als Kostrubala in 1983 einen Unfall erlitt, der ihm ein Weiterlaufen verunmöglichte. Auch Ausweichaktivitäten wie Walken und Radfahren, die er bis heute betreibt, bereiteten Schmerzen. So gab er seine lauftherapeutischen Tätigkeiten auf und kehrte ganz zur traditionellen Psychiatrie zurück; er wurde Programmchef der „Humboldt County Community Mental Health Services“ in Eureka, Kalifornien. Seine IART, aus deren Mitte sich kein Nachfolger für ihn fand, stand vor dem Aus.
Wie nachhaltig Thaddeus Kostrubala gewirkt hatte, zeigt ein Blick in die US-Lauf-, Sport- und Ratgeberliteratur der 1980er und 1990er, aber auch der 2000er Jahre. In ihr finden sich zahlreiche Hinweise, Zitate und Kommentare zu seiner Person. Eine der Textstellen lautet: „Auch die Sportpsychologie hat Bedeutung erlangt durch die Popularität solcher Bücher wie Thaddeus Kostrubalas’ The Joy of Running.“ Bis heute erhält er Anfragen aus dem In- und Ausland, u. a. wiederholt jene, wo man Lauftherapeut werden könne. Seine Antwort: in Deutschland.
In Sorge um die eigene Gesundheit schrieb er Anfang 2009 an den Verfasser: „Ich hoffe, ich mache es bis zu meinem 80. Geburtstag.“ Heute, am 22. September 2010, steht dies außer Frage. Und so wünscht der Verfasser, auch im Namen des VDL-Vorstandes, ein „Happy Birthday to You“ und für das neue Lebensjahrzehnt viel Glück. Und um seine Grußbotschaft des letzten Jahres zu erwidern: „Wir fühlen uns geehrt, dich zu grüßen, und wir sind dankbar, deine Arbeit zu kennen.“
Weiterführende deutsche Literatur
Kostrubala, T. & Schüler W. W. (2009): Wege zum Lauftherapeuten. Anstöße und Entwicklungen in Deutschland und den USA. In: www.lauftherapie-vdl.de/index.php?id=11 (März)
Schüler, W. W. (2005): Thaddeus Kostrubala: “Ich war der Normaltyp des Hochgefährdeten.” In: Weber, A. & Schüler, W. W.: Warum Cooper Aerobics erfand. 11 große Theoretiker der Lauf-Gesundheit. Regensburg: LAS, S. 65-70
Schüler, W. W. (2010): Thaddeus L. Kostrubala, Wegbereiter der Lauftherapie, ist 80 – Fakten, Anekdoten, Zusammenhänge eines bewegten Lebens. In Vorbereitung für die DLZ-Rundschau, 22. Jg., H. 43/44